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Dibbelabbes im La Bastille.
Auf meiner Reise geht es mir um drei Dinge. Erstens: Essen! Auf Platz zwei: Essen! Und ebenfalls nicht unwichtig, drittens: Essen!
Das gesagt, freue ich mich auch über Begegnungen mit netten Menschen, über abenteuerliche Reisegeschichten wie jüngst im ausweglosen Saarland und nicht zuletzt darüber, dass ich endlich mehr von Deutschland sehe.
Denn meine Heimat habe ich bislang sträflich vernachlässigt: Hier mal eine Woche Berlin, einige Tage Hamburg, Kurztrips in den Harz oder nach Regensburg und ein paar Besuche in Dresden — das war’s dann auch fast. Ansonsten verirrte ich mich kaum einmal nördlich des Weißwurst-Äquators — bis zu meiner kulinarischen Reise.
So habe ich unlängst gleich drei Premieren binnen zehn Tagen gefeiert: erstmals im Ruhrgebiet, erstmals in Rheinland-Pfalz, erstmals im Saarland. Und in allen drei Fällen habe ich mir eines fest vorgenommen: wiederzukommen. Denn Land und Leute (zugegeben: auch das Essen) taugen allemal zu mehr als nur einer Drei-Tages-Stippvisite.
Beginnen wir mit dem Ruhrpott, fünf Millionen Menschen auf engstem Raum, eine Handvoll zusammengewachsener Großstädte, die mehr oder minder am Strukturwandel knabbern, für Fußball brennen und hoch verschuldet sind. Zugleich gibt es dort nicht erst seit der RUHR.2010 (Kulturhauptstadt Europas) eine lebendige Kulturszene, alternative Stadtviertel und junge Menschen, die etwas bewegen wollen.
Ich selbst will dort in erster Linie eines: Essen — und damit ist nicht die Stadt gemeint. Von meiner Jagd nach der besten Currywurst im Pott habe ich bereits ausführlich berichtet. Fürderhin steht ein echt traditionelles Gericht auf meinem Speiseplan: Pfefferpotthast. Dieser vor allem in Dortmund populäre Eintopf besteht aus ebenso viel Rindfleisch wie Zwiebeln, dazu reichlich Pfeffer, und wird mit Kartoffeln und Essiggurken serviert.

Ein Töpfchen Pfefferpotthast.
Einen schmackhaften Pfefferpotthast verspeise ich in der Gaststätte Zum Alten Markt — also an jenem Platz, wo die Dortmunder BVB-Fans zuletzt so regelmäßig zum Jubeln zusammenkamen. An solchen schwarz-gelben Feiertagen ist übrigens weniger Pfefferpotthast gefragt, sondern eine andere Spezialität des Hauses: Dortmunder Salzkuchen. Dieses Brötchen in Bagelform wird dick mit Mett, Schwartemagen oder Käse belegt — und ins Loch kommen eine Handvoll rohe Zwiebeln. „Am Heimspielen verkaufen wir davon 500 bis 600 Stück“, versichert Betreiber Frank Jülich. „Die schmecken hervorragend und passen einfach ideal zum Bier.“

Die Gaststätte Zum Alten Markt in Dortmund.
Vom Land der Biertrinker reise ich weiter ins Land der Weinschmecker — nach Platten, ein 900-Einwohner-Dorf nahe Wittlich in einem Seitental der Mosel. Das Örtchen empfohlen hat mir eine alte Schulfreundin (Danke Eva!), die dort im Urlaub auf den Teufelsbraten gestoßen ist. Dabei handelt es sich um gegrillten Schweinenacken, der zuvor in Moselwein und einem speziellen Teufelsbratengewürz eingelegt wird.

Der in Moselwein eingelegte Teufelsbraten.
Einen Haken aber hat die Sache: Trotz intensiver Web-Recherche kann ich kein Gasthaus in Platten finden, das mir einen Teufelsbraten servieren würde. In meiner Not wende ich mich an die Gemeinde und erhalte zwei Tage später einen Anruf von einem gewissen Herr Kohnen. Er könne da etwas für mich organisieren, erzählt er zu meiner großen Freude. Es gebe eine Winzerin im Ort, die mir sicher gerne einen Teufelsbraten vorsetzen würde. Ich bedanke mich überschwänglich, lege auf und werfe sogleich einen Blick auf die Homepage von Platten. Dort stellt sich zu meiner Überraschung heraus: Mein Herr Kohnen ist nicht etwa ein Mitarbeiter der Gemeinde, sondern ihr Bürgermeister.
Drei Tage später sitze ich mit dem Ortsoberhaupt und der Winzerin Luzia Bölinger in deren urigen Weinkeller, nippe an einem delikaten Dornfelder und kaue genüsslich am zweiten Stück Teufelsbraten. Der Moselwein ist noch deutlich zu erschmecken, ebenso Pfeffer; doch die genaue Zusammensetzung der Würzmischung wollen meine Gastgeber nicht preisgeben.
Dafür erzählt Alfons Kuhnen jene Sage, die den inzwischen verstorbenen Heinz Herges in den Achtzigerjahren zur Erfindung des Teufelsbratens inspirierte. Demnach gab es vor 200 Jahren einen Wirt mit Namen „Däwel“, bei dem die Plattener stets nach dem Gottesdienst einkehrten. Daraus entwickelte sich der Ausdruck „Bei dä Deiwel (Teufel)“ in Platten. Ausführlicher hat das Herges selbst einmal dem SWR erzählt — hier geht’s zum Mitschnitt (zur Verfügung gestellt von Alfons Kohnen).

Luzia Bölinger und Alfons Kohnen servieren Teufelsbraten.
Doch so lecker Pfefferpotthast und Teufelsbraten waren — mit meinem Speiseplan im Saarland können sie nicht mithalten. Dort gibt’s zunächst ebenfalls Gegrilltes, nämlich den Schwenkbraten — eine Art Identitätsmythos in der Region. „Der Rest der Welt grillt, doch der Saarländer schwenkt“, erklärt mir Klaus-Günter Koch, der in der Bauernstube Saarbrücken seit mehr als 35 Jahren Schweinenacken über dem Buchenholzfeuer schaukelt.

Ein vom Schwenker geschwenkter Schwenker.
Den Schwenker (der Grill) in der Bauernstube hat der sympathische 61-Jährige wie jeder echte Saarländer selbst gebaut — unter anderem aus dem Motor eines Betonmischers. Privat jedoch macht Koch einen großen Bogen um jedes Grillfeuer. „Ich stehe sechs Tage in der Woche sechs Stunden lang im Fleischgeruch. Da esse ich daheim nicht auch noch Gegrilltes, sondern lieber vegetarisch.“ Und dann gibt mir Koch noch einen Satz mit auf den Weg, den mir — ungelogen! — jeder Saarländer in verschwörerischem Tonfall zuflüstert: „Schwenker hat bei uns drei Bedeutungen. So heißt sowohl der Grill, als auch das Fleisch, als auch die Person am Feuer.“ Ergo: Der Schwenker schwenkt den Schwenker auf dem Schwenker. Noch was? Ach ja: Sehr, sehr lecker hat’s geschmeckt.

Meisterschwenker Klaus-Günter Koch von der Saarbrücker Bauernstube.
Was mich zum zweiten Saarland-Gericht bringt: dem Dibbelabbes. Bevor ich lange Lobeshymnen auf diesen knusprigen Kartoffeltraum halte (und dabei die Tastatur hier im Internetcafé ungebührend bespeichele), erkläre ich lieber kurz und sachlich, was sich hinter diesem herrlichen Namen verbirgt: geraspelte rohe Kartoffeln mit reichlich Lauch, Dörrfleisch und Ei — in der Pfanne durch stetes Wenden von allen Seiten knusprig gebraten.
Das beste Dibbelabbes in Saarbrücken bringt nach landläufiger Meinung die Gaststätte La Bastille auf den Tisch — und genau dort werde ich äußerst freundlich vom Ehepaar Grolier empfangen. (Am Rande bemerkt: Diese immense Gastfreundschaft habe ich im Saarland vielerorts angetroffen, auch wenn mein letzter Artikel anders interpretiert werden könnte…) Die Pfälzerin und der Franzose betreiben das Restaurant mit französischem Flair seit 20 Jahren — und ebenso lange ist Dibbelabbes das Aushängeschild und meistbestellte Gericht.

Heimat des Dibbelabbes: das La Bastille.
„Gerne verraten wir Ihnen unser Rezept“, sagt Victor Grolier, klopft mir freundschaftlich auf die Schulter und grinst schelmisch. „Bis auf zwei Zutaten. Die bleiben geheim. Das ist wie bei der Coca-Cola-Rezeptur.“
Doch Grolier hat nicht mit einem weitgereisten Gourmet wie mir gerechnet, mit meinem feinen Gaumen, mit meiner Erfahrung in Sachen regionale Spezialitäten. Und so knabbere ich behutsam am ersten Bissen, lasse die breiige Masse langsam über meine Geschmacksknospen gleiten. Es folgt ein freudiger Schrei der Entzückung, noch ein Bissen, ein zufriedener Seufzer, zwei weitere Bissen, jetzt mit Apfelmus, ist das lecker!, schnell noch drei Bissen, ein Schlückchen vom Wein, lieblich!, noch ein paar Bissen… und ehe ich’s versehe, ist der Teller leer, ich satt, zufrieden — und ohne jedwege Ahnung, was die verschwiegenen Zutaten sein könnten.
Doch sei’s drum, so muss das Rezept (siehe unten) eben ohne das Hausgeheimnis auskommen. Ohnehin wollte ich in dieser Geschichte eigentlich weniger übers Essen, sondern vielmehr über die Reize dreier mir bislang unbekannten Ecken Deutschlands berichten. Doch wenn ich den Text jetzt überfliege, dann habe ich diese Vorgabe ungefähr so folgsam eingehalten wie dereinst Adam & Eva das Apfelverbot. Daher noch dies: Ruhrpott = spannend, Mosel = idyllisch, Saarbrücken = liebenswert. Mehr nicht, man soll ja Prioritäten setzen — und wo meine liegen, habe ich bereits zu Beginn dargelegt.
Rezept: Dibbelabbes (für 4 Personen)
Zutaten
- 2 kg Kartoffeln (mehlig kochend)
- 2 Stangen Lauch
- 2 Eier
- 250 g Dörrfleisch
- 2 Zwiebeln
- 2 Knoblauchzehen
- Salz
- Pfeffer
- Muskat
- 40 g Butter
Zubereitung
- Rohe Kartoffeln reiben und in einem Tuch ausdrücken.
- Lauch fein hacken und mit den Eiern, der Hälfte des gewürfelten Dörrfleischs, den gewürfelten Zwiebeln, den ausgedrückten Knoblauchzehen sowie den Kartoffeln vermengen. Mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken.
- Butter in einen gusseisernen Bräter geben, die andere Hälfte des gewürfelten Dörrfleisches anbraten und dann die Kartoffelmasse in den Bräter geben.
- Zugedeckten Bräter etwa 2 Stunden bei 180 °C in den vorgeheizten Backofen geben. 15 Minuten vor Ende den Deckel abnehmen, damit die Masse eine knusprige Decke bekommt.
- Dibbelabbes mit Apfelmus servieren.