
Frédéric Bierbrauer (links) und und Florian Romer sind Erna & Co.
Die Idee kommt nahezu jedem Schwaben irgendwann im Leben — spätestens nach dem dritten Glas Trollinger: Warum nicht einen Imbiss mit regionalen Gerichten aufmachen? So eine Art McDonald’s mit Cheesespätzle und McMaultasche. In der Regel bleiben derlei Pläne Hirngespinste, die spätestens am nächsten Morgen ihren Platz im trollingerschweren Schwabenkopf wieder räumen müssen — nicht so bei Frédéric Bierbrauer und Florian Romer.
Die beiden Freunde aus Stuttgart verzichten nach dem BWL-Studium auf lukrative Jobs in der Industrie. Stattdessen tüfteln sie neun Monate an der perfekten Maultasche, feilen am Businessplan für ihren Imbisswagen und eröffnen im März 2011 schließlich Erna & Co. — „handgemachte schwäbische Küche in einem frischen, modernen und mobilen Ambiente“, wie es auf der Webseite heißt. Im Interview erzählt Frédéric von großen Zielen, der Benchmark Mama, und was Imbissbetreiber von McDonald’s lernen können.
Ein Parkplatz im Herzen von Stuttgart, die Mittagssonne strahlt mit dem schnieken, rot-weißen Imbisswagen um die Wette. Strahlend ist auch das Lächeln von Frédéric Bierbrauer bei der Begrüßung. Im Hintergrund schaufelt Kollege Florian Romer Kartoffelsalat, brutzelt Maultaschen, kleckst Soße — und, na klar, strahlt.
Keine Frage, die beiden Jungs kommen im Imbiss so gut rüber wie Florian Silbereisen bei der Generation Silberhaar. Und nicht nur sie: Von den Produktfotos in Hochglanz bis zum aufwändigen Prospekt, von den modisch geschnittenen Verkäufershirts bis zum SLS-Menü (Spätzle, Linsen, Saitenwürstle) — alles an Erna & Co. wirkt so akribisch durchdacht, als stünde den Jungunternehmern das Apple-Marketingteam zur Seite. Doch ein Journalist darf sich von all dem nicht beeindrucken lassen. Daher nun zwölf knallharte Fragen an die Maultaschenmeister und Spätzlespezialisten.
1. Wie schmeckt die perfekte Maultasche?
Frédéric: Nach wirklichem Fleisch — und nicht nur nach Brät. Außerdem sollte man die einzelnen Zutaten in der Füllung schmecken und erkennen. Das darf keine undefinierbare Einheitsmasse sein.
2. Warum heißen Spätzle, Linsen und Saitenwürstle bei euch SLS-Menü und nicht Spätzle, Linsen und Saitenwürstle?
Frédéric: Erstens soll es unsere Kunden zum Schmunzeln bringen. Zweitens ist die Formulierung eingängig, sodass sich die Leute beim nächsten Besuch daran erinnern. Und drittens beschleunigt es die Bestellung, wenn man einfach nur ein SLS ordert. Obwohl: Erst letztens hatten wir eine Dame, die das ein bisschen durcheinander gebracht hat. Die hat nämlich LSD bestellt…
3. Wieso rackert man bis zu 14 Stunden am Tag im Imbiss statt halb so lange in Büro vom Daimler — wofür es aber doppelt so viel Geld geben würde?
Frédéric: Weil wir hier unsere Vision verwirklichen können. Und als Motivation dient uns der Ausblick auf das, was noch kommen wird. Schließlich wollen wir bald unseren ersten Erna-Laden eröffnen, und das Konzept dann als Franchise auf ganz Deutschland, vielleicht sogar auf die ganze Welt ausweiten. Der Wagen in Stuttgart ist unser Versuchsballon: Wenn wir es hier bei den kritischen Schwaben schaffen, dann schaffen wir es überall. Und momentan sieht es gut aus. Außerdem muss ich eines ehrlich sagen: Nur Flo hatte nach dem Studium ein Angebot von Daimler — ich nicht. Für ihn war es also viel schwerer, sich für Erna & Co. zu entscheiden.
Die letzten Sätze seines Kompagnons hat Florian nicht mitbekommen. Er werkelt im Imbiss, bereitet sich auf den mittaglichen Ansturm vor. Ihm zur Seite steht die Freundin von Frédéric, der wiederum lässig am Wagen lehnt und meine Fragen beantwortet. Ein richtiges kleines Familienunternehmen. Sympathisch. Sehr sogar. Doch Momentchen: Lasse ich mich gerade um den Finger wickeln von diesem höflichen, eloquenten, jungen Herrn, bei dem sogar die Prise Größenwahn liebenswert daherkommt? Wo ist der knallharte Journalist in mir?
4. Wie of isst Du selbst Erna-Essen?
Frédéric: Jeden Tag — allein schon wegen der Qualitätskontrolle.
5. Das schönste Lob von einem Kunden?
Frédéric: Das fallen mir zwei Dinge ein. Zum einen, wenn es heißt: Bei euch schmeckt’s wie bei Muttern. Denn die Mutter ist in der schwäbischen Küche der Benchmark.
Benchmark, schwäbisch und Mutter in einem Satz! Ich liebe den Jungen!
Frédéric: Zum anderen ist ein großer schwäbischer Maultaschenfabrikant auf uns zugekommen und hat vorgeschlagen, dass wir künftig seine Maultaschen verkaufen. Das war auch eine Art von Lob — aber wir haben natürlich abgelehnt und bleiben bei unserer eigenen Maultasche.
6. Was kann jeder Imbissbesitzer von McDonald’s lernen?
Frédéric: Standardisierte Prozesse. Da ist alles exakt vorgegeben — von der Zeit, wie lange die Pommes in der Fritteuse hängen, bis zur Menge des Ketchups auf dem Cheeseburger.
7. Und was sollte man nicht so machen wie McDonald’s?
Frédéric: Das ist schwer zu sagen. Da fällt mir spontan gar nichts ein… Hey Flo! Was macht McDonald’s falsch? Gibt’s da was?
Florian Romer beugt sich zu uns nach draußen, legt die Schöpfkelle aus der Hand und seine Stirn in Falten.
Florian: Puh, schwierig. Bei der Qualität kann man eigentlich nichts sagen, denn da achtet McDonald’s sehr drauf. Vielleicht bei der Herstellung: Die könnte etwas weniger industriell sein und etwas mehr Liebe zum Produkt vertragen. Aber mehr fällt mir auch nicht ein.
8. Wie erkenne ich einen guten Imbiss auf den ersten Blick?
Frédéric: An der Sauberkeit. Und auch die Verkäufer sollten gepflegt sein. Das ist das Wichtigste. In meiner Stamm-Currywurstbude habe ich einmal eine Kakerlake über den Tresen krabbeln sehen. Danach bin ich da nie wieder hin.
9. Apropos: Wann nehmt ihr endlich die Currywurst ins Sortiment auf?
Frédéric: Nie! Auch wenn wir das am Anfang oft von Kunden gefragt wurden. Aber das würde nicht zu Erna passen. Wir machen schwäbisches Essen!
Herrlich! So ein Satz — und das von zwei polyglotten BWL-Absolventen, die in Bangkok, Nizza und New York studiert haben, deren Geschäftsidee in Kanada geboren wurde, die eine Imbissbude 2.0 mit eigenem Blog und 1500 Facebook-Fans betreiben. Kein Wunder, dass hier im Maultaschendampf bereits zig Reporter vor mir standen — von ZDF bis SWR, von Stuttgarter Zeitung bis Essen & Trinken. Ob die wohl auch probieren durften? Wie das duftet…
Frédéric: Flo, mach doch mal einen Probierteller für Patrik.
Kann der sogar Gedanken lesen? Besser schnell meine restlichen Fragen rausfeuern, bevor’s um meine Objektivität ganz geschehen ist.
10. Wer von euch zwei ist der bessere Koch?
Frédéric: Ganz ehrlich: Wir sind beide keine guten Köche. Aber wir können sagen, was gut schmeckt und was ankommt. Vor der Eröffnung von Erna & Co. haben wir monatelang an den Rezepten gefeilt, Freunde zum Testessen eingeladen und nahezu alle Metzgereien in Stuttgart abgeklappert. Denn am Ende entscheidet immer die Qualität des Essens — das hat uns auch der Stuttgarter Sternekoch Martin Öxle bestätigt, dem wir unsere Imbiss-Idee vorgestellt haben.
11. Warum setzt ihr für die Zukunft auf Läden und nicht auf weitere Imbisswägen?
Frédéric: Weil wir dafür keine Mitarbeiter finden würden. In unseren Imbisswagen muss man so viel Zeit und Energie stecken — das macht kein Angestellter. Im Laden hingegen ist man immer am gleichen Ort, kann Sachen lagern und besser planen. Das ist für uns die Zukunft… Ah, da kommt ja dein Essen.
Eine Frage zu früh stehen plötzlich zwei dampfende Plastikschüsseln vor mir: Spätzle, Linsen, Saiten in der einen — Maultasche, Fleischküchle, Kartoffelsalat in der anderen. Ob Frédéric die Speichelfäden auffallen, die von meinen Mundwinkeln tropfen? Egal, bloß noch eine Frage. Irgendeine!
12. Wieso der Name Erna & Co.?
Frédéric: Ja, das fragen immer alle…
Mir egal, ich habe Hunger! Und wie das duftet! Meine Nase, meine Augen, mein Gaumen und mein Magen schicken quasi im Chor einen Hilfeschrei in Richtung Gehirn: ISS! JETZT! SOFORT!
Frédéric: Erna ist ein sympathischer Name, der für die schwäbische Küche stehen soll — und das „& Co.“ für unser modernes Betriebskonzept. Unter dem Namen kann sich fast jeder etwas vorstellen, der Name bleibt im Kopf und außerdem kann man ihn überall auf der Welt ohne Probleme aussprechen.
Ich geb’s zu: Die letzte Antwort habe ich mir im Nachhinein zusammengereimt. Denn sobald mich Hunger überkommt und Essen im Blickfeld auftaucht, schaltet mein Gehirn automatisch auf Stand-by-Modus. Kaum hat Frédéric den Satz beendet — oder wollte er nur Luft holen? — greife ich zur Gabel und verdrücke den Inhalt der beiden Schüsseln bis zur letzten Linse — unterbrochen von gelegentlichen Lustgrunzern.
Erst als ich die Gabel zur Seite lege, wacht mein Gehirn allmählich aus seiner Lethargie auf. Und für einen lichten Augenblick sehe ich mich selbst, wie ich satt und strahlend vor dem rot-weißen Imbisswagen stehe — gekommen als knallharter Journalist, geblieben als butterweicher Erna-Fan.

Der Imbisswagen von Erna & Co. fährt jede Woche fünf verschiedene Standorte in Stuttgart an.

Mit aufwändigen Hochglanzfotos werden die unterschiedlichen Speisen vorgestellt.

Das mit Abstand meistverkaufte Gericht bei Erna & Co. sind die handgemachten Maultaschen.

Essensliebhaber unter sich: Deutschland-isst trifft Erna & Co.