
Peter Geißler hobelt Knöpfle für Allgäuer Kässpatzen.
Zwischen Zwiebelwürfeln und Käseraspeln trifft mich jäh die Erkenntnis: Eigentlich darf ich dieses Buch gar nicht schreiben. Und das, obwohl ich seit drei Monaten unterwegs bin, mich durch alle 16 Bundesländer gegessen habe. Doch wie kann ich ein ganzes Buch über Essen schreiben, wenn es Menschen gibt wie Peter. Die Essen lieben, nein: die Essen leben — und gegenüber denen meine Begeisterung fürs Essen wirkt wie ein halbherziger Urlaubsflirt.
„Probier mal diesen Käse!“ Peter reißt mich aus meinen Gedanken und hält mir ein ringfingergroßes Stück Gruyère hin. „Den habe ich von einem Mann aus Kempten, der seine Käselaiber über mehrere Jahre verfeinert und reifen lässt. Wo gibt’s so was noch? Für mich ist das der beste Käse in Deutschland.“
Gerne würde ich an dieser Stelle die Geschmacksexplosion beschreiben, die der Käse in meinem Gaumen auslöst — allein mir fehlen die Worte. Also erzähle ich lieber von jenem Mann, der da gerade neben mir Allgäuer Kässpatzen zubereitet. Es werden die mit Abstand besten sein, die ich jemals zwischen die Zähne bekommen habe — und doch nicht der bleibendste Eindruck von meinem Besuch in der Altstadtwirtschaft in Kempten.
In dieser Stadt im Allgäu beginnt und endet Peters Geschichte — dazwischen hat der heute 33-Jährige eine Kochausbildung im edlen Landgasthaus Adler in Wangen absolviert, in Neapel und München gelebt, sich in Berlin verliebt und dort die Küche im Szene-Restaurant Alpenstück geleitet. 2008 verspürte er dann einen „Urinstinkt“, zog zurück zur Familie nach Kempten und eröffnete mit seinem Bruder die Altstadtwirtschaft in den Kellerräumen des Hotels Fürstenhof.
Was die beiden in dem ehemaligen Techno-Club aufgebaut haben, kommt meiner Vorstellung von der perfekten Gaststätte sehr nahe. Die Einrichtung ist schlicht aber hochwertig, viel Holz, kaum Deko, kein Schnickschnack. Auf der täglich wechselnden Karte gibt es nur vier Hauptgerichte, zwei Vorspeisen und zwei Desserts — sowie als einzige Konstante das Wiener Schnitzel vom Kalb. Und die Zutaten kauft Peter fast ausschließlich in der Region — nicht auf dem Großmarkt, sondern bei ausgewählten Höfen und Herstellern.
„Zwei Jahre hat es gedauert, bis ich meine Lieferanten zusammen hatte“, erzählt Peter. „Du wirst nicht glauben, wie schwer es hier im Allgäu ist, an ordentliches Fleisch oder an gutes Gemüse heranzukommen.“ Inzwischen aber hat der Koch ein Netzwerk von Menschen gefunden, die ähnlich ticken wie er: „Ich bin ein Rohstoff-Freak. Ich liebe schlichte aber gute Produkte — das richtige Salz, das richtige Mehl, die richtigen Kartoffeln. Das ist natürlich wichtig für den Geschmack meiner Küche, aber auch für meine Ideologie. Ich will voll hinter dem Essen stehen können, das ich meinen Gästen serviere.“
Deshalb wird in der Altstadtwirtschaft alles per Hand gemacht — von Brot bis Nudeln, von Bratensoße bis Suppenfond. Und deshalb kommen auch nur Gerichte aus der Region die Karte. „Heute gibt’s in jedem zweiten Allgäuer Landgasthof Spaghetti Bolognese. Ich liebe Spaghetti Bolognese — aber nicht im Landgasthof! Wenn ich das essen will, dann gehe ich zum Italiener.“
Noch suspekter als prinzipienlose Italo-Allgäuer sind Peter drei Dinge. Erstens: Event-Gastronomie. „Dieses ganze Drumherum finde ich schrecklich. Das ist nur Ablenkung vom Essen.“ Zweitens: Werbung. „Das haben wir genau ein mal zur Eröffnung gemacht — und danach nie wieder. Das bringt nichts und lockt die falschen Leute an.“ Und drittens: Journalisten. Mit ihnen habe er nur schlechte Erfahrungen gemacht. „Erst neulich hat mich ein Redakteur von so einem Land-Magazin angerufen. Die wollten Fotos auf der Weide machen, wie ich eine Kuh streichle! Denen habe ich gleich abgesagt.“
Drängt sich eine Frage auf: Wie bin ich zu Peter gekommen?
Rückblick: Eine Woche zuvor klingelt mein Handy, am Apparat ein gewisser Peter. Er habe von meiner Essensreise gelesen und fände die Idee klasse. Falls ich nach Kempten käme, könne ich gerne mal bei ihm vorbeischauen. Natürlich nur, falls ich Lust und Zeit habe, er würde etwas kochen, wir könnten uns ein wenig über Essen unterhalten.
Ich geb’s zu: Am Anfang war ich skeptisch. Schließlich bekomme ich inzwischen alle drei Tage Mails von Menschen, die mir ihr RibWich aus dem Food Truck, Cocktailwürstchen mit integriertem Senf oder sonstwas anpreisen wollen. Doch zum einen überzeugt mich Peters unaufgeregte, sympathische Art am Telefon und zum anderen das bereits erwähnte Konzept der Altstadtwirtschaft.
Und so sitze ich nun also vor einem Teller Kässpatzen, für den ich auf der Stelle eine meiner Nieren verkaufen würde — und lausche gespannt, wie Peter über sein Lieblingsthema referiert: Essen. „Ich bin beileibe kein Missionar. Ich gehe selbst zu McDonald’s, wenn ich da Bock drauf habe. Aber mich stört es, dass viele Deutsche gutes Essen nicht wertschätzen. Da geht es nur darum, wer das dickere Auto fährt, und dann schüttet man da noch ein Vermögen für Benzin rein. Aber wenn ein gutes Schnitzel mehr als zehn Euro kostet, ist das den meisten zu teuer. Dann kaufen sie lieber irgendsoein Billig-Essen für 6,99 Euro — egal wie’s schmeckt, egal was drin ist.“
Fast drei Stunden sitzen Peter und ich in der Altstadtwirtschaft zusammen, kochen, essen, trinken im Allgäu gerösteten Espresso, diskutieren, philosophieren. Als ich mich voller Eindrücke verabschiede, ist ihm eines wichtig: „Du brauchst wirklich nichts über unsere Wirtschaft zu schreiben. Ich wollte dich einfach kennenlernen und etwas über deine Reise erfahren — mehr nicht.“
Tja, aber so wie Peter seinen Beruf als Berufung lebt, so kann ich mir diese Journalistenzeilen nicht verkneifen — auch wenn er sie wohl mit einem Magengrummeln quittieren wird. Ach ja: Kaum zwei Stunden nachdem ich mein Buch im Spätzleswasser ertränken wollte, habe ich inzwischen auch wieder Frieden mit meinen Schreibplänen geschlossen. Ich werde einfach nur von meinen Erlebnissen der vergangenen drei Monate berichten. So lesenswert wie möglich — mehr nicht.
Zum Nachkochen (17): Allgäuer Kässpatzen
(Das Rezept veröffentliche ich mit der freundlichen Genehmigung von Peter Geißler, Küchenchef der Altstadtwirtschaft Kempten)
Zutaten:
- 500 Gramm Spätzlemehl/Weichweizendunst
- 2 Teelöffel Salz
- 4 Eier
- ca. 150 Milliliter lauwarmes Wasser
- 3–4 Zwiebeln
- 150 Gramm Emmentaler
- 150 Gramm Alpkäse (oder Bergkäse)
- 150 Gramm Gruyère (oder Romadur)
- Butter
- Salz, Pfeffer, Muskat, Schnittlauch
Zubereitung:
- Eier und Wasser vermengen, ins Spätzlemehl geben und mit 2 Teelöffel Salz sowie einer Prise Muskat zu einem Teig vermengen
- Teig ca. 20 Minuten stehen lassen. Seine Konsistenz sollte so zähflüssig sein, dass er gerade noch aus einem Löffel fließt
- Zwiebeln würfeln und mit Butter in der Pfanne anbraten
- Dreierlei Käse reiben und vermengen
- Teig mit einem Spätzlehobel für Knöpfle ins köchelndes Salzwasser hobeln
- Knöpfle nach ca. 30–40 Sekunden aus dem Wasser fischen und in eine Pfanne geben
- Pro Portion (ca. 150 Gramm Spätzle) etwa 100 Gramm Käsemischung hinzugeben und einige Minuten in der Pfanne vermengen bis der Käse geschmolzen ist. Je nach Konsistenz von dem Spätzlewasser hinzugeben
- Kässpatzen in einem tiefen Teller servieren, darüber reichlich Zwiebeln, Schnittlauch und frischer Pfeffer
Guten Appetit!
(Eines schickt Peter voraus: „Traditionell müssen Allgäuer Kässpatzen eigentlich im Steintopf geschichtet werden und kommen danach in den Backofen. Doch diese Zubereitung ist in der Gastronomie praktisch unmöglich - deshalb bekommt man in Gasthäusern auch nur sehr selten gute Kässpatzen.“)
Seine Tipps, woran man gute Allgäuer Kässpatzen erkennt:
- Die Menge an Käse: „Auf eine Portion sollten rund 100 Gramm kommen“
- Die Qualität des Käses: „Guter Käse zieht kaum Fäden. Dicke Fäden sind ein Anzeichen dafür, dass der Käse nicht richtig schmilzt, weil er qualitativ nicht so hochwertig ist.“
- Die Frische der Spätzle: „Die Spätzle sollten noch bissfest sein. Aufgewärmte Spätzle erkennt man an der matschigen Konsistenz.“