

Ein spannendes „Buch-Experiment“
Vorvorgestern habe ich 20 Euro für ein Buch von Dirk von Gehlen hingeblättert — und doch halte ich das Buch weder in den Händen, noch werde ich das in Bälde tun. Denn sein Werk namens „Eine neue Version ist verfügbar“ wird voraussichtlich erst im Mai 2013 erscheinen — und dennoch haben bereits jetzt rund 250 Käufer mehr als 8.000 Euro für das Buch ausgegeben. Warum ich darüber an dieser Stelle schreibe? Weil ich von Gehlens Projekt in vielerlei Hinsicht spannend finde — gerade im Hinblick auf mein eigenes Buch „Speisende soll man nicht aufhalten“, das im kommenden Frühjahr im Rowohlt Verlag erscheinen wird.
Da ist erstens die Finanzierung: Der SZ-Journalist von Gehlen verzichtet auf die Zusammenarbeit mit einem Verlag und setzt stattdessen auf die Crowdfunding-Plattform Startnext. Dort können Mitglieder ihre Projekte der Öffentlichkeit vorstellen und von einer Vielzahl von Unterstützern Geld für die Finanzierung sammeln — egal ob das nun eine Buchidee, die Produktion von „Chucks ohne schlechtes Karma“ oder ein Spielfilmprojekt ist. Als Dank für ihre Investition erhalten die Unterstützer das Produkt, eine Gewinnbeteiligung und/oder andere Gegenleistungen. Im Falle von Gehlens reicht das von der eBook-Version der Buches (€12) über die Papiervariante in Basis– (€20) und Premium-Version (€30) bis hin zu einem Vortrag des Autors (€500).
Ich selbst habe im Frühsommer ebenfalls mit dem Gedanken gespielt, mein Buch per Crowdfunding zu finanzieren, ehe ich mich dann doch für den Rowohlt Verlag entschieden habe. Warum Crowdfunding? Weil ich dieser Art der Finanzierung gerade im künstlerischen Bereich großes Potenzial zutraue. Und weil es den Produzenten direkt mit seinen Kunden zusammenbringt. Hier entscheidet nicht die Marketingmaschinerie des Verlages über Erfolg oder Misserfolg eines Buches, nicht die Kreditabteilung der Bank über eine Startup-Idee und nicht das Filmstudio über ein Drehbuch - sondern nur der Kunde. Ihn gilt es zu überzeugen — und genau das sollte doch der Sinn jeglichen Produktes sein.
Noch spannender als die Finanzierung ist jedoch zweitens die Idee hinter von Gehlens Buch. Wie der Titel „Eine neue Version ist verfügbar“ verrät, versteht er sein Buch nicht als abgeschlossenes Werk, sondern eher als eine Art Entwicklungsprozess. Dies ist zugleich das Thema seines „Buch-Experiments“. Denn von Gehlen will die Leser — also alle, die sich vorab zur Unterstützung des Projekts bekannt haben — in den Entstehungsprozess des Buches einbinden. Wenn ich ihn richtig verstehe, dann will er den Akt des Buchschreibens für seine Leser öffentlich machen, ihre Anregungen aufgreifen, mit ihnen diskutieren und so das Buch bis zu einem gewissen Grad gemeinsam mit ihnen entwickeln. Der Leser bekommt für den „Kaufpreis“ also nicht nur das fertige Buch, sondern auch einen Einblick in den Entstehungsprozess.
Diese Idee erinnert mich an mein eigenes Buch — allerdings nur, was die Recherche anbelangt. Denn auch während meiner kulinarischen Reise stand ich im ständigen Dialog mit den Lesern meines Blogs bzw. meiner Facebookseite — und habe davon enorm profitiert. Beispielsweise wäre ich ohne die Anregung von Uli (er hat mir über Facebook geschrieben) nie auf die Idee gekommen, einen Abstecher nach Osnabrück zu unternehmen und mich dort auf die Suche nach Stopsel zu machen. Und ohne Roberts Hinweis (wieder Facebook) hätte ich Ostfriesland unbesehen links liegen lassen. Mithin wären also zwei Stationen, die nunmehr ein komplettes Kapitel im Buch füllen, gar nicht auf meinem Speiseplan aufgetaucht. Und das ist beleibe nicht alles: Durch die zahllosen Tipps, Anregungen und Hinweise hat meine Reise derart an Qualität gewonnen, das ich es im Nachhinein sogar bereue, mein Projekt nicht noch ausführlicher, noch offensiver und noch interaktiver im Web präsentiert zu haben.
Anders hingegen verlief das eigentlichen Schreiben meines Buches: Das habe ich ganz klassisch als Einzelkämpfer vor dem Computer erledigt — sieht man einmal von den Hinweisen einiger Freunde, der Lektorin und dem Korrekturleser ab. Ob genug meiner Blog-Leser das Buch finanziell unterstützt hätten? Das weiß ich nicht. Ob sie Interesse an einer Debatte über die Inhalte gehabt hätten? Weiß ich auch nicht. Was ich aber weiß: Wenn sich genug Blog-Leser am Entstehungsprozess des Buches beteiligt hätten, dann wäre das in mehrerer Hinsicht vorteilhaft für das Endergebnis gewesen:
- Anregungen: in punkto Rezepte, Aufbau des Buches, Auswahl der Gerichte und Geschichten. Natürlich hätte ich mir nicht wahllos diktieren lassen, was ich schreibe. Aber wenn 190 von 200 Lesern vehement dafür plädieren, meinen Besuch beim Whisky-Liebhaber aus Neubrandenburg doch lieber ins Buch aufzunehmen (leider musste ich diese Episode aus Platz– und Logikgründen weglassen), dann würde ich die Entscheidung gegebenenfalls revidieren. Schließlich ist man als Autor auch ein Stück weit Dienstleister — und wer zahlt, schafft an.
- Fehlervermeidung: Vier Augen sehen mehr als zwei — und ein paar Hundert demnach mehr als eine Handvoll.
- Kundenbindung: Wer den Entstehungsprozess eines Buches verfolgt, ja sich vielleicht sogar mit Ratschlägen und Hinweisen daran beteiligt hat, der wird wohl kaum darauf verzichten, sich das Werk hernach auch ins Bücherregal zu stellen — und den Autor womöglich sogar in weiterer Hinsicht zu unterstützen.
Kurzum: Ich bin sehr gespannt darauf, welche Erfahrungen von Gehlen mit seinem Buch-Experiment sammelt — und werde sie sicher für kommende Projekte im Hinterkopf behalten.