

Reif fürs Museum

„Is(s) was! Essen und Trinken in Deutschland“ heißt eine Wechselausstellung im Haus der Geschichte — mit meiner Reise. (Foto by Clemens Pfeiffer, CC-BY-SA-2.0-at)
Dieses Internet ist ein Hort des Bösen, ich weiß, ich weiß. Zuvorderst sind da die Ausspähhalunken von Google, gefolgt von den datenstibitzenden Facebookianern sowie einigen anderen Identitätskraken, Jugendverdummern und Weltuntergangsbeschleunigern. Das liest man ja ständig. Im Spiegel. Beim Focus. Im Stern.
Dennoch ging ich vor meiner kulinarischen Deutschlandreise den Pakt mit den Teufeln ein: Ich schrieb über meine Erlebnisse auf einer eigenen Homepage, teilte Fotos und Eindrücke über meine Facebookseite, ja sogar bei Twitter zwitscherte ich fleißig, was mir so unterwegs widerfuhr und auf die Teller kam. Denn, so meine Überlegung vor der Abreise: Je mehr Menschen von meiner Jagd nach landestypischen, regionalen Gerichten erfahren, desto besser.
Doch niemals, wirklich niemals hätte ich zu träumen gewagt, was mir meine fleißige Onlineschreiberei alles einbringen würde. Nämlich: unschätzbar hilfreiche Tipps von Lesern, ein Buchvertrag beim Rowohlt-Verlag sowie nun sogar einen Platz im Haus der Geschichte, einem der meistbesuchten Museen in Deutschland. Doch der Reihe nach.
Dialog mit dem Leser
Da waren also zunächst einmal die vielen Kommentare, Tipps und Anregungen meiner Leser während der Reise. Beispielsweise hätte ich ohne diese Hinweise weder Osnabrück noch die kleine pfälzische Gemeinde Platten besucht — wodurch mir zwei unvergessliche Reiseerlebnisse verwehrt geblieben wären (Osnabrück, Platten). Und die nebenbei bemerkt zusammen fast ein ganzes Kapitel in meinem Buch ausmachen.
Zweitens: der Buchvertrag. Denn aufgebrochen bin ich auf eigene Faust und ohne einen Verlag im Rücken. Nichtsdestoweniger hatte ich die feste Absicht, die kulturellen und kulinarischen Erlebnisse meiner Anhalterreise in Buchform niederzuschreiben — und wenn meine Mutter hernach die Einzige gewesen wäre, die das Werk je liest. Doch so weit kam es zum Glück nicht: Etwa drei Wochen vor Ende meiner Tour flatterte die Mail einer jungen Dame in mein Postfach. Meine Reise und die Idee dahinter fände sie sehr charmant, und tatsächlich könne sie sich vorstellen, dass daraus ein Buch werde. Ob wir uns nicht mal ganz unverbindlich unterhalten wollen? Ach ja: Die junge Dame war damals Lektorin beim Rowohlt-Verlag und leitet dort heute die Sachbuch-Sparte bei den Taschenbüchern.
Buchvertrag ohne Probelesen
Ohne einen einzigen Verlag selbst anzuschreiben, unterzeichnete ich einen Monat später meinen Buchvertrag — und das, ohne dass die Frau je eine Zeile des Buches gelesen hätte. Offenbar reichten ihr allein meine Berichte im Blog und bei Facebook, denn als ich sie wenig später fragte, wie sie auf meine Reise gestoßen sei, antwortete sie: „Ganz genau kann ich das gar nicht mehr rekonstruieren. Ich bin beim Surfen durch Zufall auf ein Couchsurfer-Interview gestoßen und von dort auf Ihre Seite gekommen.“
Nun erscheint mein Buch im Juni also in einem der renommiertesten Verlage Deutschlands — Google, Facebook und Co. sei Dank.
Erst Leipzig, dann Bonn
Und das ist noch nicht alles: Im September — ich hatte gerade rund die Hälfte des Buches zu Papier gebracht — erhielt ich wieder eine Mail, diesmal aus Leipzig, von einem Mitarbeiter des dortigen Haus der Geschichte. „Wir bereiten zurzeit eine große Wechselausstellung mit dem Titel „Is(s) was! Essen und Trinken in Deutschland“ vor“, schrieb er. Diese werde zunächst von Mai bis Oktober 2013 in Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig zu sehen sein, und danach von November 2013 bis April 2014 im Schwestermuseum, dem Bonner Haus der Geschichte.
Er selbst, so der Mitarbeiter weiter, sei dabei für einen Raum zuständig, der das Thema „Rückbesinnung und Regionalisierung der Esskultur“ aufgreife und habe nun von meiner Reise gelesen. Wo? Da reicht ein Blick auf den Namen der Ausstellung und auf die Adresse meiner Webseite. Konkret gesagt: Wer bei Google nach „Is(s) was! Essen und Trinken in Deutschland“ sucht, erhält als erste Treffer zwei Links zur Ausstellung, und schon danach folgt meine Webseite — noch vor der Wikipedia.
Zugegeben: Meine Reise war ziemlich genau das, wonach die Ausstellungsmacher für diesen (kleinen) Teil der Schau gesucht hatten. Doch ohne meine Webseite, ohne meine Berichte und ohne Google hätte der Mitarbeiter wohl nie davon erfahren.
Ausstellungseröffnung im Mai
Zahllose Telefonate, etliche E-Mails, einen Besuch des jungen Herrn in München und einen Trip meinerseits nach Leipzig später sind die Planungen bezüglich „meiner“ Vitrine in der Ausstellung inzwischen weitgehend abgeschlossen. In ihr werden neun eher unbekannte Gerichte vorgestellt, die ich auf meiner Reise verdrückt habe; dazu gibt’s Exponate von unterwegs sowie ein Videointerview mit mir; und auch mein Reisetagebuch sowie das Buch „Speisende soll man nicht aufhalten“ werden eine Rolle in der Ausstellung spielen.
Mehr sei an dieser Stelle noch nicht verraten, doch sobald ich von der Ausstellungseröffnung Mitte Mai zurück bin, werde ich das Ganze noch einmal ausführlich in Text, Bild und Video vorstellen — in diesem bösen Internet, versteht sich. Das mir also (bislang) reichlich Reiseinspiration, einen Buchvertrag und eine Museumsvitrine beschert hat. Was ich dafür im Gegenzug preisgegeben habe? Meine persönlichen Daten — dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Es kann also gut sein, dass bei Facebook künftig Anzeigen für Kochbücher und Pfannen auf mich einprasseln anstatt Werbung für Singlebörsen und Damenbinden.
Ich glaube, das werde ich verkraften.