Nette Autofahrer. Das wäre heute hilfreich gewesen — erstens. Zweitens: etwas weniger Dummheit auf meiner Seite. Drittens ebenfalls nicht zur Hand, obgleich dringend nötig: eine Sonnencreme. Viertens: weniger Dummheit, fünftens: das richtige Gepäck und schließlich sechstens: weniger Dummheit.
Da jedoch dieses halbe Dutzend mir am heutigen Tag so schmerzlich abgeht wie einem reisenden Bayern eine ordentliche Brezen — daher also sitze ich jetzt entkräftet, verbrannt und frustriert in einer Bäckerei in Kaiserslautern und warte auf meine Mitfahrgelegenheit nach Frankfurt. Mitfahrgelegenheit? Ja, denn nach gut sieben Stunden und mageren 36 Kilometern habe ich meinen Anhalterdaumen für heute in den Feierabend geschickt.
Dabei verlange ich keineswegs Unmögliches von ihm, als mein Anhaltertag heute um neun Uhr in Saarbrücken startet. Das Ziel: Frankfurt — laut Google Maps gerade einmal ein 184 Kilometer langer Katzensprung. Im Geiste sehe ich mich schon um die Mittagszeit in Hessen, während ich den ersten Autos gut gelaunt meinen Daumen entgegenstrecke.
600 vorbeidonnernde Fahrzeuge und zwei Stunden später ist meine Laune reziprok proportional zur Außentemperatur gefallen. Will heißen: Während mein Gemütszustand im Permafrost bibbert, treibt mir die brennende Sonne Schweißperlen auf die Stirn. Sonnencreme? Ja, das wäre jetzt nicht schlecht. Ebenso wie eine kurze Hose. Stattdessen habe ich dicke Socken und die lange Unterbuxe im Rucksack, der obendrein von allerlei Nutzlosem beschwert wird — doch dazu später mehr.
Denn zunächst naht Rettung in Gestalt einer netten Russin, die mir einen Lift nach Neunkirchen/Saar anbietet. Einen flüchtigen Blick auf die Karte geworfen: Ja, das liegt irgendwo im Nordosten von Saarbrücken, tendenziell Richtung Frankfurt, also hopps eingestiegen.
Erst in Neunkirchen — 20 Minuten und eine nette Unterhaltung später — studiere ich die Karte genauer und muss entdecken: Statt wie erhofft an der A6 Richtung Kaiserslautern stehe ich an der A8. Bedeutet: Erst über das nahe Kreuz käme ich auf die gewünschte Autobahn. Doch damit nicht genug: Auch die Auffahrt in Neunkirchen erweist sich für Anhalter als so praktisch wie eine Bleiweste als Schwimmhilfe.
Und so brüte ich erst eine halbe Stunde vergeblich in der Sonne — kein einziges Auto hält. Dann versuche ich mein Glück an der nahen Tankstelle mit direktem Ansprechen — doch niemand fährt in meine Richtung (oder will einen verschwitzten und inzwischen wohl auch müffelnden Tramper in seinem Wagen). Entnervt stelle ich mich schließlich an die Landstraße und hoffe über diesen Umweg schneller auf die A6 zu gelangen.
Diesmal habe ich zum Glück einen Schattenplatz, doch inzwischen sind die Temperaturen derart geklettert, dass mir dennoch Schweißbäche den Rücken hinunterrinnen. Wohl auch, weil erneut ein paar Hundert Autofahrer mit regungslosem Gesicht an meinem Daumen vorbeibrettern. Was ist nur mit den Saarländern los, die ich bisher als so herzlich und hilfsbereit kennengelernt habe?
Dann endlich stoppt ein Wagen. Und auch wenn ich nur zwei Handvoll Saarländer kenne, wage ich zu behaupten: In Sachen Verrücktheit gehört dieser etwa 45-jährige Mann zur absoluten Elite des Landes. Gerade einmal acht Minuten sitze ich seinem Auto, doch das ist genug für ihn, um zunächst drei geschmacklose Witze über Homosexuelle zu reißen. Und dann einen Schwank aus seinem Liebesleben zu erzählen, wobei es irgendwie um Gummidildos, drei Nymphomaninnen, seine Spielsucht und Polizeirazzien geht. Ein Glück habe ich so meine Probleme mit dem saarländischen Akzent, sodass mir der größere Zusammenhang des wirren Gefasels erspart bleibt. Und so nicke ich nur monoton, während er von Fotzen, Schwänzen und Oralsex schwadroniert — in einem Ton, als berichte er vom jüngsten Familienausflug.
„So, hier musst du raus!“, sagt’s, schubst mich beinahe vom Beifahrersitz und braust davon. Erst der Blick aufs Handy verrät mir: Ich bin in Limbach, immer noch im Saarland, immerhin aber nahe der Auffahrt zur A6. Und so schultere ich meinen Rucksack und stapfe durch den Ort. Ach ja, habe ich erwähnt, dass es 35 Grad im Schatten hat? Und dass ein 20-Kilo-Rucksack auf dem Rücken die gefühlte Temperatur locker noch einmal um fünfzehn Grad erhöht?
An einer Kreuzung recke ich erneut meinen Daumen in die Luft — und bin fast überrascht, dass es diesmal nur 15 Minuten dauert, ehe ein junger Bursche anhält. „Zur Autobahnauffahrt? Ja, da kann ich dich hinbringen.“ Erleichtert sacke ich in den Beifahrersitz und versuche das üble Brennen in Gesicht und Nacken zu ignorieren. Sollte dieser grauenvolle Tag doch noch ein gutes Ende finden? (Du, lieber und aufmerksamer Leser, kennst die Antwort bereits aus der Eingangssequenz: Nein!)
Direkt an der Autobahnauffahrt lässt mich der Junge unter einer Brücke aussteigen. „Da hast du sogar Schatten“, sagt er zum Abschied. Ich nicke erleichtert, winke ihm nach, drehe mich um, blicke auf das Autobahnschild — und lasse im nächsten Moment einen Wutschrei los, als hätte mir ein Arzt eröffnet, dass ich allergisch gegen Schokolade sei. Denn: Ich stehe nicht etwa an der A6, sondern wieder an der A8! Heißt: In den letzten drei Stunden habe ich einen großen Bogen ums Autobahnkreuz gezogen, nur um jetzt erneut an der falschen Autobahn zu stehen. Und passend dazu brettern die Autos mit 70 Stundenkilometern auf die Auffahrt zu — Anhalterchance gleich null.
Als ich ein weiteres Mal den Rucksack schultere, ist mir nach lautem, ausgiebigem Fluchen zumute — allein mir fehlt die Kraft. Das Warten, die Sonne, der Irre, der Durst und die Dummheit: Sie haben mich derart ausgezehrt, dass ich nur stumm weiter stapfe, weiter schwitze, weiter leide. Da taucht in der Ferne eine Bushaltestelle auf; eine halbe Stunde später stehe ich am Bahnhof von Homburg. Vor sieben Stunden bin ich in Saarbrücken aufgebrochen — und noch immer im kleinen Saarland.
Ein letztes Mal widerstehe ich dem verlockenden Schnellzug nach Kaiserslautern und schleppe meinen Rucksack und mich 20 Minuten lang zur Ortsausfahrtstraße. Von hier — so verheißt es die Karte — sollten die Chancen groß sein, einen Lift auf die A6 zu bekommen. Denke ich. Doch das Denken ist (an diesem Tag) nicht meine Stärke. Tatsächlich entpuppt sich die Straße als zweispuriges Monstrum — weit und breit keine Haltebucht, weit und breit kein Schatten.
Dafür bin ich komplett durchgeschwitzt, hummerrot und erledigt, als ich 45 Minuten später im Zug sitze. In Kaiserslautern angekommen, krame ich meine Straßenkarte noch nicht mal aus dem Rucksack. Stattdessen greife ich zum Handy und arrangiere eine Mitfahrgelegenheit nach Frankfurt.
Die Zeit bis zur Abfahrt überbrücke ich in einer Bäckerei am Bahnhof. Dort schütte ich Wasser um Wasser in mich hinein und tippe diese Zeilen. Und auch wenn ihr’s nicht glauben werdet: Gerade als ich mir Gedanken um das passende Ende dieser Geschichte mache, ertönt im Radio ein Lied von Xavier Naidoo: „Dieser Weg wird kein leichter sein.“