
Christiane Foschepoth in ihrem Wintergarten.
Mit der Erinnerung kommen die Tränen. Immer noch. Auch 22 Jahre danach. „Ich habe es damals aus dem Fernsehen erfahren“, erzählt Christiane Foschepoth von jenen Tagen im November 1989, als in Deutschland die Mauer fiel. „Wir haben sofort unsere Sachen gepackt, nur das Nötigste. Das Haus mussten später die Kinder verkaufen.“ Christiane Foschepoth lächelt, wischt eine Träne aus dem Auge. „Und dann sind wir losgefahren. Von Westfalen bis hierher.“
Hier, das ist Rügen, ihr Rügen, die Insel ihrer Geburt, auf der sie so viel Leid hat erfahren müssen, die sie dennoch so sehr liebt, es auch nach Jahrzehnten in der Fremde weiter tat, „meine Heimat“, wo sie heute wieder lebt, bis an ihr Lebensende bleiben wird — und ihr Körper darüber hinaus. Längst habe ich die Mecklenburger Götterspeise vergessen, die mich eigentlich in den Wintergarten von Christiane Foschepoth geführt hat — ein Rezept! Stattdessen lausche ich gebannt dieser fast 80-jährigen Dame, die mit klarem Verstand und leiser Stimme ihre Lebensgeschichte erzählt.
Am Anfang ihres Erwachsenenlebens steht dabei eine Initiative mit dem schönen Namen „Aktion Rose“, die jedoch schaurige Folgen für die Betroffenen hatte. Denn mit dieser blumigen Bezeichnung umschrieb das DDR-Regime die rücksichtslose Verstaatlichung von Hotels, Gasthöfen und Erholungsheimen im Februar 1953. Besonders betroffen war die Ostseeküste, insbesondere Rügen.
„Ich weiß noch genau, wie die Polizisten kamen, um meine Mutter zu holen. Das waren ganz junge Burschen in diesen langen Mänteln — wie davor bei den Nazis“, erzählt Christiane Foschepoth. Sie ist 18 Jahre alt, ihren Eltern gehört die „Bierstuben“, ein kleiner Gasthof im Badeort Binz auf Rügen. Eingeschüchtert vom Verhör flieht die Mutter am nächsten Tag nach Berlin; Christiane begleitet sie, kehrt dann aber zurück zum Vater. „Den hätten sie lebendig niemals von der Insel bekommen“, sagt sie. Was sie nicht sagt: Diese Sturheit steckt auch in der Tochter.
Weil der Vater angeblich illegal Fisch verkauft, muss er sechs Monate ins Gefängnis. Wieder ist Christiane dabei, als die Polizei ihn holt. Zwar können die Eltern danach ihre „Bierstuben“ weiter betreiben — „der Betrieb war zu klein und damit uninteressant“. Doch als die Tochter eine Lehrstelle in West-Berlin angeboten bekommt, ist allen klar: Christiane soll in den Westen.
Also verlässt die junge Frau ihre geliebte Insel und lässt sich zur Krankenschwester ausbilden. „Doch ich wollte mehr, ich wollte was erleben“, begründet Foschepoth, warum sie alsbald nach Bremen reist und dort so lange an einen Schiffsunternehmer hinredet, bis der sie einstellt. In den folgenden Jahren arbeitet sie auf einem Musikdampfer — „doch das war mir auch noch nicht Abenteuer genug“. Wieder drängelt Foschepoth, und wieder wird ihre Hartnäckigkeit belohnt: Als Krankenschwester fährt sie fortan auf einem Ostasienschiff über die Weltmeere. „Das war vor der Zeit der Container. Deshalb sind wir immer länger in den Häfen geblieben und konnten uns die Orte wirklich ansehen.“
Auf dem Schiff lernt sie einen Koch kennen und lieben: Die beiden heiraten und ziehen in seine Heimat, nach Westfalen. Doch die Sehnsucht nach Rügen, sie bleibt — auch als kurz darauf die Mauer gebaut wird, und Foschepoth nur mehr ein Mal im Jahr ihre Eltern und ihre Insel besuchen darf. „Danach habe ich mir immer geschworen: Da fährst du nie wieder hin. Die Grenzkontrollen waren so schrecklich und belastend. Doch dann sind wir im nächsten Jahr doch wieder hingefahren, weil ich meine Eltern und Rügen sehen wollte.“
Mit den Jahren verändert sich ihre Heimat. „Der Verfall der Häuser war erschreckend. Außerdem roch es extrem nach Braunkohle, weil damit überall geheizt wurde.“ Im Jahr 1970 stirbt der Vater; die Mutter zieht daraufhin zur Schwester nach Timmendorf auf die Ostseeinsel Poel und überschreibt ihren Landbesitz in Binz auf Christianes Vetter. „Er ist bei uns aufgewachsen und war für meine Eltern wie ein Sohn. Im Krieg haben sie ihn bei Luftangriffen immer mit in den Bunker genommen.“ Bei diesen Sätzen schwingt ein vorwurfsvoller Unterton in ihrer Stimme — doch dazu später.
Die Jahre vergehen, die Mutter stirbt, und dann geschieht, was wenige für möglich gehalten hätten: Die Mauer fällt, die DDR zerbricht. „War für Sie immer klar, dass…“, setze ich an. Bevor die Frage ausgesprochen ist, schießt es aus Christiane Foschepoth heraus: „Immer! Ich wollte immer zurück nach Rügen. Für meinen Mann ist Heimat dort, wo er abends seinen Hut aufhängt. Aber für mich ist Rügen meine Heimat — und es immer geblieben.“
Und so brechen sie 1989 auf, als erste Westler landen sie auf der Insel, wenig später kommen die Kinder nach. Das geliebte elterliche Land jedoch bleibt den Foschepoths versperrt: Der Vetter hat sich den Besitz unter den Nagel gerissen und will ihn nicht hergeben. „Er hat mir mal ein kleines Stück Land angeboten, wo ich ein Hundehüttchen hätte bauen können. Aber das habe ich abgelehnt“, sagt Foschepoth. Zum ersten Mal an diesem Tag wird ihre Stimme lauter — und hart: „Ich kann ihm nicht vergeben. Ich habe das inzwischen abgeschlossen, aber vergeben kann ich ihm nicht.“ Die folgenden Jahrzehnte besucht Foschepoth ihr Elternhaus in Binz nicht ein einziges Mal; erst im vergangenen Sommer ist sie so weit, dass sie dorthin zurückkehren kann. „Da stehen inzwischen zwei riesige Hotels. Ich glaube, die gehören mittlerweile der Tochter meines Vetters.“
Nach ihrer Rückkehr betreiben Christiane Foschepoth, ihr Mann und die Kinder das zu DDR-Zeiten heruntergekommene Strandhotel im Ostseebad Sellin, das nach der Wende an eine Erbengemeinschaft gegangen ist. Sechs Jahre lang baut die Familie die riesige Anlage wieder auf, ersetzt die Braunkohleöfen durch eine moderne Heizungsanlage, macht sich einen Namen in der Gastronomie, steckt viel Herzblut in das Hotel — und muss es dann doch wieder aufgeben. Der Grund: Im Jahr 1996 findet sich ein Investor für das Objekt. Die Erbengemeinschaft entscheidet umgehend, das Strandhotel zu verkaufen. „Das es so kommen könnte, war uns immer klar“, sagt Foschepoth traurig. „Den anderen Erben ging es nur ums Geld, und wir hatten einfach nicht die finanziellen Mittel, um das Hotel zu kaufen.“
Ein letztes Mal ziehen Christiane Foschepoth und ihr Mann um, in das ehemalige Haus der Tochter nach Lonvitz im Süden der Insel. Hier verbringt das Ehepaar seinen Lebensabend mit Gartenarbeit und Lesen; zwei der drei Kinder wohnen im nahen Putbus. „Haben Sie es jemals bereut, wieder nach Rügen zurückgekehrt zu sein?“, frage ich Christiane Foschepoth abschließend. Es folgt eine Pause und ein Blick, der mit dem Wort verständnislos unzureichend beschrieben ist. Dann ihr Schlusswort, nur eines, jetzt wieder leise, aber fest: „Nie!“
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Zum Nachkochen (7): Mecklenburger Götterspeise
Der Vollständigkeit halber hier noch das Rezept für die Nachspeise.
Zutaten:
- 300 Gramm Schwarzbrot / Pumpernickel
- 500 Gramm Schattenmorellen
- 500 Milliliter Schlagsahne
- 50 Gramm Butter
- 100 Gramm Zucker
- 2 Packungen Vanillezucker
- Blockschokolade
- (Kirschwasser)
Zubereitung:
- Schwarzbrot kleinbröseln und mit der Butter in einer Pfanne anrösten
- Vanillezucker dazugeben und karamellisieren lassen
- Zucker in einem Topf verflüssigen, dann die Schattenmorellen dazugeben und so lange bei geringer Hitze schmoren, bis sich der Zucker aufgelöst hat
- Abkühlen lassen und je nach Geschmack einen Schuss Kirschwasser unterrühren
- Sahne steif schlagen
- Schwarzbrot, Kirschen und Sahne abwechselnd in einer Schale aufschichten
- Auf die letzte Schicht Sahne die Blockschokolade raspeln
Guten Appetit!

Mecklenburger Götterspeise. (Foto: multipel_bleiben bei Flickr unter CC BY-NC-ND 2.0)